Die egoistische Sprache der Wirtschaft

 

Während meiner Ausbildung zum systemischen Coach war ich immer wieder verblüfft, mit welch absurden technokratischen Begriffen meine Kommilitonen und auch Ausbilder hantierten. Sie verfolgten damit durchaus gute Absicht. Sie wollten Nähe zu ihren Klienten herstellen, sich durch ein Verfallen in die Peer-Sprache aber auch Legitimität verschaffen. Es ist in dieser Branche wie in Unternehmen so üblich, für kommunikative und psychologische Phänomene am Arbeitsplatz mechanistisches Vokabular zu verwenden. 

Ein solcher Ansatz ist wohlmeinend aber wenig zielführend. Ein Coaching in Unternehmen ist bestrebt, das menschliche Miteinander, das gegenseitige Verstehen zu verbessern. Die mathematische Sprache der Wirtschaft hat in einem Coaching meiner Meinung nach nichts zu suchen. Sie wirkt kontraproduktiv, und das sollte auch immer wieder thematisiert werden. Doch selbst einschlägige Coaching-Ratgeber sind voll von staubtrockenen Begriffen wie tools, Prozessanalyse oder Optimierung. Die Coaches bedienen sich am mechanistischem Vokabular der Betriebswirte und wollen damit humane Probleme erklären. Sie versprechen sich davon Glaub- und Ebenbürdigkeit, sollten das Business-Publikum aber eigentlich mit einer anderen Sprache und einer anderen Ideenwelt auf andere Gedanken bringen. Mit tools menschliche Kommunikation zu reparieren ist kein erfolgsversprechender Ansatz.

Definitionen schaffen Realiäten. Sprache formt die Wahrnehmung und umgekehrt. Studien legen nahe, dass der Inhalt der Ausbildung von Betriebswirten nicht gerade menschliche Seiten in ihnen zum Schwingen bringt. Wissenschaftler befragten Wirtschaftsstudenten im Laufe ihres Studiums nach ihren Werteeinstellungen.[i]

Noch im ersten Semester beschrieben diese Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Loyalität und Verantwortungsbereitschaft als gute Charaktereigenschaften. Sie unterschieden sich in ihren Einstellungen nicht von Studenten der Kommunikation, Soziologie oder Politik. Aber nach drei Jahren hatte sich das Blatt völlig gewendet. Empathische Qualitäten waren ihnen plötzlich viel weniger wichtig. Sie wurden von Semester zu Semester egozentrischer. Gier bezeichneten Wirtschaftsstudenten in einer andere Studie als etwas Gutes, Nützliches und durchaus Moralisches.[ii]

Menschen, die sich in einem wenig diversen Umfeld bewegen, entwickeln tendenziell extremere Einstellungen. Sozialpsychologen nennen dies Gruppenpolarisation.  Wirtschaftsstudenten verbringen viel Zeit mit ähnlich denkenden Menschen. Sie sind nicht zuletzt auf Grundlage des Studienmaterials und der Inhalte der Vorlesungen davon überzeugt, dass Egoismus rational und nicht grundsätzlich verwerflich ist. Einfach zu geben, altruistisch zu denken, halten sie tendenziell für eher dumm. Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation würden sicherlich auch bejahen, dass Egoismus weit verbreitet ist. Aber sie würden diesen Egoismus nicht verteidigen sondern verurteilen.

Die Einstellungen und Werte von Studenten verändern sich mit den Studieninhalten und später mit den Erfahrungen am Arbeitsplatz. Natürlich beeinflussen die eigenen persönlichen Ziele und Werte bereits die Studienwahl. Jemand, dem es vor allem ums Geld verdienen geht, wird sich eher für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften entscheiden. Diejenigen, die Flexibilität und das Anstoßen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse stärker schätzen, arbeiten wahrscheinlich vermehrt in den Gesellschaftswissenschaften. 

Allerdings führt die ständige und fast ausschließliche Beschäftigung mit ökonomischen Studien und Theorien nachweislich dazu, weniger Mitgefühl für andere zu entwickeln. Das gilt auch für hochrangige Manager. 

Für ein Experiment rekrutierten Andy Molinsky, Joshua Margolis und Adamt Grant CEOs, Partner, Direktoren und Manager, die durchschnittlich 140 Beschäftigte beaufsichtigten. Diese mussten Mitteilungen an Beschäftigte verfassen, die in eine fremde, eher unbeliebte Stadt versetzt werden sollten. Die Führungskräfte mussten zudem einen hochkompetenten Kollegen dafür kritisieren, dass er häufig zu spät zu Konferenzen kommt. Für diese schriftlichen Aufgaben stand ihnen jeweils sehr unterschiedliches Vokabular zu Verfügung. Führungskräfte, die ihre Mitteilungen mit Hilfe ökonomischer Begriffe verfassten, drückten signifikant weniger Mitgefühl aus.[iii]

Diejenigen, die sich am normalen menschlichen Vokabular bedienen konnten, zeigten wesentlich mehr Empathie.  Die harte, scheinbar rationale Sprache der Ökonomie hat also offenbar einen eklatanten Einfluss auf die Kommunikation von Werten. 

Ethische Inhalte müssten verpflichtend und fundiert im Studium der Betriebswirtschaftslehre verankert werden. Es tut Studenten gut, sich vermehrt mit Themen wie Fairness, Altruismus und Kooperation zu beschäftigen, auch sozialwissenschaftliche Kurse belegen zu müssen. Sie sollten lernen, dass Menschen sich nicht nur um sich selbst kümmern, sondern genuin soziale Wesen sind. Ein breit gefächertes sozialwissenschaftliches und psychologisches Wissen macht sie zu besseren Führungskräften. Im täglichen Umgang mit Menschen, und das bringt eine Tätigkeit in einem Unternehmen nun mal mit sich, sollte die mechanistische Sprache der Wirtschaft nur im angemessenen Kontext verwendet werden. Es ist kein gutes Zeichen, wenn ein Unternehmen statt von Angestellten oder Beschäftigten schlicht von head (Kopf) spricht. Sprache transportiert deutlich eigene Normen und Wertschätzungen. Wer sich bemüht, in seinen Angestellten Menschen zu sehen, wird sich auch an eines humanen Wortschatz bedienen. Coaches sollten Nähe nicht durch ein Verfallen in den Business-Slang herstellen, sondern durch eine konstruktive und wertvolle Unterstützung guter menschlicher Kommunikation. 

 

 

[i]Björn Frank, Günther G Schulze (2000): „Does economics make citizens corrupt?“, in: 

  Journal of Economic Behavior & Organization 43(1), S. 101-113

[ii]Long Wang, Deepak Malhotra & J. Keith Murnighan (2012): „Economics education and 

  greed“, in: Academy of Management Learning & Education 10 (4)

[iii]Andrew Molinsky, Adam M. Grant & Joshua D. Margolis (2012): „The bedside manner of homo economicus, how and why priming and economic schema reduces compassion, Organizational Behavior and Human Decision Processes, 119 (1),S.27-37