In dem Diskurs um die sexuellen Straftaten während der Silvesternacht in Köln und Hamburg haben sich zwei Meinungsblöcke klar herausgebildet. Der eine Block diskutiert den Islam als grundsätzlich frauenverachtendes System, das muslimische Männer zu Machos, Nötigern oder gar Vergewaltigern erzieht. Die andere Seite hält Gewalt gegen Frauen für ein höchstdramatisches Männerproblem, das sich weniger durch Religion als vielmehr durch ein Machtgefälle erklären lässt.
Nicht nur hierzulande schlagen sich in dieser Frage Politiker, Wissenschaftler, Kollegen und Freunde die Köpfe ein. Auch im kleinen Schweden, der Wiege der Gleichberechtigung, rumort es. Auslöser waren mehrere Fälle sexueller Belästigungen bei einem Musikfestival im vergangenen Sommer. Die Polizei hatte die Taten nicht verschwiegen, wohl aber die Herkunft der Täter. Es waren vermutlich junge Flüchtlinge aus Afghanistan. Vor ein paar Tagen rückte dann die Zeitung Dagens Nyheter mit der Meldung heraus, die zuvor niemanden interessiert hatte. Allerdings mit einem kleinen zusätzlichen Hinweis: Die Täter waren Migranten.
Ein Sturm der Entrüstung brach los. Schwedens Premierminister Stefan Löfven empörte sich und nannte die verantwortlichen Polizisten „doppelte Betrüger“. Rechtsradikale und rechtskonservative Gruppen und Parteien instrumentalisieren den Vorfall, wie dies derzeit in Deutschland passiert. Es wird ein fast apokalyptisches Gefahrenbild heraufbeschworen: die schwedische Frau bedroht durch den fremden Mann, der sich an keine westlich zivilisierte Norm hält. Die Aufregung ebbte allerdings relativ schnell wieder ab.
Schweden hat, hochgerechnet auf die Einwohnerzahl, mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Land in Europa. Die Sicherheitssituation im Land hat sich dadurch grundlegend nicht verändert. Die Kriminalstatistiken in Schweden und auch europaweit zeigen ein klares Bild: Sexuelle Gewalt ausgehend von Flüchtlingen ist trotz des massiven Zustroms aus muslimischen Ländern kein Muster.
Die Vorfälle in Köln, Hamburg und auch in Schweden waren sicherlich für die betroffenen Frauen dramatisch, womöglich auch traumatisierend. Aber sie sind Einzelfälle und stehen von der Gewichtung her in keinem Vergleich zu der großen Anzahl täglicher Gewaltverbrechen gegen Frauen, begangen von Männern ohne Migrationshintergrund.
Natürlich ist die Frauenrechtslage in sehr vielen arabischen Ländern katastrophal. Und natürlich bringen sehr viele Flüchtlinge ein verschrobenes Frauenbild mit nach Europa. Problematisch ist sicherlich auch, dass mehr Männer unter den Flüchtlingen sind. In den Flüchtlingsheimen kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen. Die mediale Aufregung über letzteres ist allerdings relativ gering.
Wer sich die Biografien der Täter aus Köln oder Hamburg anschaut, wird feststellen, dass diese mit dem durchschnittlichen syrischen Flüchtling nicht viel zu tun haben. Es sind Outlaws, Männer, die nicht mehr viel zu verlieren haben, mit sehr unsicherem Aufenthaltsstatus. Oft sind sie in ihren Herkunftsländern schon unangenehm aufgefallen. Um sie zur Rechenschaft zu ziehen, braucht es keine schärferen Gesetze. Die deutsche Rechtsprechung hat hierfür bereits alle Mittel zur Verfügung.
Gleichberechtigung hat in der öffentlichen politischen Debatte in Schweden einen sehr hohen Stellenwert. Trotzdem ist Gewalt gegen Frauen in Skandinavien nach wie vor – wie überall – ein großes Problem. Immerhin: Die Schweden gehen offensiv damit um. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb kocht die Diskussion über eine potentielle Gefahr durch muslimische Sexualstraftäter dort nicht so hoch wie in Deutschland. Man ist pragmatischer und lösungsorientierter. Auch der schwedische Mann, so der generelle Konsens, ist zu vielen Schandtaten in der Lage. Im vergangenen Jahr bekamen alle in Schweden lebenden 16jährigen, gleich welchen Geschlechts, das Buch der nigerianischen Autorin Chimanda Ngozi in die Hand gedrückt: „We should all be feminists.“ Vielleicht wird dieses Werk auch irgendwann ins Arabische und gar ins Deutsche übersetzt und an den Schulen verteilt!
Statt weiter die Islamphobie zu schüren, sollten Politiker einen Blick nach Schweden werfen und sich austauschen. Dort läuft es derzeit auch nicht besonders rund, aber die Hysterie ist geringer. Massive Kritik, Angst und Hass haben noch nie zu einem Dialog geführt. Integration, das hat sich ganz besonders in Schweden gezeigt, ist nicht immer einfach, häufig kostspielig und manchmal von massiven Rückschlägen geprägt. Aber sie zahlt sich langfristig aus. Dass Deutschland in Sachen Frauenrechte eine Menge zu bieten hat, bedeutet nicht, dass aus jedem Mann, ob muslimisch oder nicht, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, automatisch ein Feminist wird. Das ist ein langer, manchmal sehr mühsamer Prozess.